Veränderungsprozesse definieren
Für den Erfolg von Veränderungsprozessen ist es wesentlich, schon vor dem Beginn einzuschätzen, wie umfassend der beabsichtigte Wandel voraussichtlich wird. In diesem Zusammenhang müssen Sie sich klar machen, dass ein großer Teil der Veränderungsprozesse in Unternehmen und Organisationen schon deswegen scheitern weil sie im Vorfeld nicht ausreichend geplant wurden.
In Anlehnung an Reiß, von Rosenstiel und Lanz (1997) kann man den Umfang von Veränderungsprozessen vor allem an drei Fragestellungen festmachen:
- Wie breit ist der Veränderungsprozess, d.h. was ist alles davon betroffen?
- Wie tief ist der Veränderungsprozess, d.h. wie hoch ist das jeweilige Ausmaß der Veränderung?
- Wie ist die Geschwindigkeit des Veränderungsprozesses, d.h. wie viel Zeitdruck wird erzeugt?
Auf der Basis dieser drei Fragestellungen kann man eine Bestandsaufnahme im Vorfeld eines geplanten Veränderungsprozesses durchführen. Dies ist wichtig, schaut man sich die Praxis entsprechender Prozesse an.
Hierzu ein Beispiel:
Im Rahmen der Digitalisierung werden in Organisationen oftmals neue IT-System eingeführt. Regelmäßig ist hierfür die IT-Abteilung oder eine externer Firma zuständig. Fühlt sich die ein oder andere noch für die Systemschulung zuständig, gehört die Berücksichtigung weiterer Implikationen nicht zu deren Zuständigkeit. Im Rahmen der Einführung „neuer IT“ kommt es aber oft zu Widerständen auf vielen Ebenen, da nicht berücksichtigt wurde, welche anderen Veränderungen damit noch einhergehen (Veränderung von Zuständigkeiten, „Geheimwissen“, notwendige „Aufräumarbeiten“ etc.).
Breite des Wandels
Bei der Breite des Wandels sind vor allem drei Aspekte wichtig, um eine Einschätzung zu erhalten:
a) Welche Themen beinhaltet der Veränderungsprozess?
Bei den meisten Prozessen steht ein Thema als Treiber im Vordergrund, z.B. die Einführung eines neuen IT-Systems. Die Gefahr besteht darin, dass die hiermit verbundenen sonstigen Themen nicht ermittelt und somit vernachlässigt werden. Folgende Fragen sind üblicherweise zu beantworten:
- Entstehen durch den Prozess Änderungen in der Vision, den Zielen oder der Strategie?
- Entstehen durch den Prozess organisatorische Änderungen (Aufbau und interne Abläufe)?
- Entstehen durch den Prozess personelle Veränderungen (neues Personal nötig, Schulungsbedarf, neue „Wissensmonopole“)?
- Entstehen durch den Prozess technologische Änderungen (Auswirkungen auf andere Hard- und Software, Auswirkung auf die Dienstleistungen, Auswirkungen auf Externe)?
- Entstehen durch den Prozess (notwendige) Änderungen in der Kultur (Zusammenarbeit, Lernformen, Projektabwicklung etc.)
b) Wie viele Hierarchieebenen bzw. Teams / Funktionsbereiche sind betroffen?
Es ist wichtig zu beurteilen, welche bzw. wie viele „Ebenen“ betroffen sind. Bei strategischen Neuausrichtungen ist es die ganze Organisation, bei Änderungen des Marketing-Mixes ist es ggf. nur der Bereich Marketing mit keiner oder einer Hierarchieebene.
c) Wie viele externe Organisationen sind betroffen?
Gerade im touristischen Umfeld und umso mehr im öffentlichen Tourismus ist oft eine Vielzahl an „Anspruchsgruppen“ von Veränderungsprozesses betroffen. Dies tritt bei „abstrakten“ Themen wie dem Wechsel eines IT-Systems ebenso auf (insbesondere, wenn dies durch Externe mitgenutzt wird), wie bei grundsätzlichen Themen wie einem Strategiewandel.
Tiefe des Wandels
Die Tiefe des Wandels ist zu Beginn eines Veränderungsprozesses häufig schwer einzuschätzen. Grundsätzlich ergibt sie sich aus dem Unterschied zwischen dem gegenwärtigen Zustand und dem angestrebten Zielzustand. Je größer dieser Unterschied ist, desto tiefgreifender ist der Wandel. Um die Tiefe zu quantifizieren, kann man in die Rolle der Beteiligten schlüpfen. Wie werden sie die Änderung empfinden?
Geschwindigkeit des Wandels
Je weniger Zeit für einen Veränderungsprozess zur Verfügung steht, desto höher muss die Geschwindigkeit sein. Zu berücksichtigen sind die Erkenntnisse im Hinblick auf die Breite des Wandels. Insbesondere wenn externe Anspruchsgruppen in den Prozess zu beteiligen sind, ist von einem höheren Zeitbedarf auszugehen. In Anlehnung an die „8 Phasen des Veränderungsprozesses“ von John P. Kotter ist zu berücksichtigen, dass Verhaltens- und Einstellungsveränderungen oft nur sehr mühsam in einer Organisationskultur Fuß fassen. Veränderungsprozesse bedingen immer wieder das „Einlegen“ von systemischen Schleifen, also der Wiederholung oder anderen Ausgestaltung von Prozessschritten, die bereits „erledigt“ schienen.
Eine Bestandsaufnahme anhand der oben beschriebenen Punkte ist vor Beginn eines Veränderungsprozesses ein wesentlicher Schritt. Oftmals stellt sich heraus, dass Prozesse sehr viel breiter und tiefer sind, als sie zunächst aussahen. Somit ist dann auch die Geschwindigkeit bzw. die prognostizierte Dauer eines Prozesses neu zu bewerten. Neben diesen Gesichtspunkte (Wer?, Was?, Wie lange?) ist im nächsten Schritt eine genauere Einschätzung des „Umfeldes“ zu treffen. Hierzu kann man sich einer Stakeholderanalyse bedienen.
Literatur: M. Reiß, l. von Rosenstiel, A. Lanz, Changemanagement. Programme, Projekte und Prozesse, Schäffer-Poetschel, 1997