Destinationsmanagement

Zukunftsfähige Dörfer

Was macht aus einem Dorf, ein Dorf mit Zukunft? Welche Rolle spielen wirtschaftliche, städtebauliche, soziale und ökologische Aspekte beim Blick in die Zukunft des ländlichen Raums? Gute Beispiele aus Brandenburg weisen den Weg.

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Was macht aus einem Dorf, ein Dorf mit Zukunft?

Antworten auf die Frage "Was macht aus einem Dorf, ein Dorf mit Zukunft?" sucht Dr. Andreas Zimmer, Leiter der Abteilung Cluster- und Destinationsentwicklung bei der TMB Tourismus-Marketing GmbH. Er schildert als Juror seine Erkenntnisse und Eindrücke der Juryreise zum Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“, die vom 13. Juni bis 21.06.2022 stattfand und quer durch Brandenburg ging.

Kennen Sie eigentlich den Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“? Der Wettbewerb entstand in den 1960er Jahren damals noch unter dem Namen „Unser Dorf soll schöner werden“. Blumenschmuck, hübsche Rabatten, gestutzte Hecken. Das waren zu der Zeit ein Mittel der Wahl, um die damals schon existierende Abwanderung aus den ländlichen Räumen zu verhindern. Dass das nicht reicht, um dem Strukturwandel etwas entgegenzusetzen, wurde später klar und der Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ war geboren.

Auch wenn der schöne gestaltete Dorfanger immer noch eine Rolle spielt, geht es jetzt um Leitbildentwicklung, soziale und kulturelle Aktivitäten, Baukultur, Naherholung, bürgerschaftliches Engagement und vieles mehr. Klar, die Abwanderung ist in vielen Orten dank Landlust gestoppt, aber die Stabilisierung gelingt dennoch nicht ohne Anstrengungen und ist nicht selbstverständlich. Der Wettbewerb findet nun alle drei Jahre auf Bundesebene statt und hat seine Entsprechungen in den Bundesländern und Landkreisen in Deutschland, d.h. die jeweiligen Kreissieger ziehen in den Landeswettbewerb, von dem die Besten auf Bundesebene delegiert werden.

Zu den großen Vergnügungen meiner Arbeit zählt es, in der brandenburgischen Landesjury zu sitzen und unter der Führung des Ministerium Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz sowie mit Kolleg*innen aus dem Städte- und Gemeindebund, dem Gartenbauverband, der Dorfbewegung Brandenburg, dem Landfrauenverband sowie dem Landesamt für Denkmalpflege und archäologisches Landesmuseum die Kreissieger zu bereisen.

In diesem Jahr fand der Juryreise vom 13. Juni bis 21.06.2022 statt. Es ging einmal quer durchs Flächenland – von der Prignitz im Norden bis in den Landkreis Spree-Neiße ganz im Süden des Landes. Mir ist dabei schon klar, dass wir hier die Klassenbesten besichtigen konnten, die uns natürlich beeindrucken wollten, aber dennoch nehme ich für mich einige Erkenntnisse mit, die vielleicht auch andere Dörfer teilen. Was macht also aus einem Dorf, ein Dorf mit Zukunft?

Kontakt

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Dr. Andreas Zimmer

Clustermanagement Tourismus

TMB Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH
Babelsberger Str. 26
14473 Potsdam
Deutschland

1. Kurze Beine, kurze Wege

In vielen der Dörfer, in denen wir ankamen, empfingen uns Kindergartenkinder, oft auch Grundschulkinder, in einem sogar eine Oberschule (was allerdings eine Ausnahme ist). Auf diese Einrichtungen, die oftmals hart erkämpft wurden, sind alle stolz. Kinder bedeutet Zukunft, auch in den Dörfer. Denn das lockt junge Familien, sorgt für Nachwuchs in Vereinen und Initiativen und sowie für eine gesunde demografische Entwicklung. Nicht zu vergessen: wenn man Rückkehrer*innen auch in ein paar Jahrzehnten möchte, muss man heute dafür sorgen, dass die kleinen Menschen Wurzeln schlagen. Besonders beeindruckt (aber da bin ich bei Kindern auch immer nah am Wasser gebaut) hat mich die Zusammenarbeit zwischen Naturpark und Kindergarten und Grundschule in Menz, wie überhaupt in fast allen Orten viel dafür getan wurde, den Kindern die Natur näher zu bringen.

Kinder stehen an einer Bushaltestelle
Quelle:

TMB Tourismus-Markting Brandenburg GmbH

Dr. Andreas Zimmer

2. Sport frei und Löschangriff nass

Knapp 40.000 ehrenamtliche Feuerwehrangehörige gibt es im Land Brandenburg. Eine unfassbare Anzahl, die das Rückgrat im Brandschutz und Hilfeleistung in der Weite des Raumes bildet. Neben den bewundernswerten Leistungen, die dort jeden Tag, fast immer neben dem Haupteinkommen erbracht werden, sind die Freiwilligen Feuerwehren aber auch Eckpfeiler der Dorfentwicklung. Kinder- und Jugendfeuerwehren bieten Strukturen und halten die Gemeinschaften generationsübergreifend zusammen. Oft sind es auch Feuerwehrangehörige, die die Ersten sind, wenn es darum geht, Maibäume aufzustellen, Osterfeuer zu stapeln und Feste zu organisieren. Und ja: es wird dann oft bei Juryreisen der Einsatz der Kinder- und Jugendfeuerwehr (Stichwort: „Löschangriff nass“) gezeigt. Und ich genieße es immer wieder. Neben den Feuerwehren sind es die Sportvereine und wer da nur an Fußball auf dem Acker denkt, liegt oft daneben. Sogar Aikido gibt´s oder Verrücktheiten wie das Lausitzer Mülltonnenrennen. Auch hier zeigt sich: das Ehrenamt hält die Vereine zusammen und wer was kann, macht es vor und andere machen mit.

3. Feste feiern

Ich lebe schon einige Jahre in Brandenburg und von meiner Heimat Thüringen bin ich mit der Kirmes und dem damit verbundenen Hacki Tacki einiges gewohnt, aber von der Feuerwehr zum Festplatz die Annemarie-Polka tanzen, war mir neu. Was macht man nicht alles, als Jurymitglied. Aber Feste, die alle selbst organisiert werden, sind oft Höhepunkte im Dorfleben. Das muss halt organisiert werden, denn anders als in der Stadt, gibt es oft keine kommerziellen Anbieter*innen. Und so ist mit den Proben, Vorbereitungen und Pläneschmieden schon wieder ein Gemeinschaftsgefühl entstanden, das man oft in Städten nicht findet. Im Süden Brandenburgs sehr verbreitet ist dabei das Zampern als alte sorbische Tradition, die sich mittlerweile auch in andere Gegenden Brandenburgs verbreitet hat. Damit verbunden ist der nächste Punkt…

4. Tradition und Erbe hochhalten

Es gibt den Kalenderspruch: Zukunft braucht Herkunft oder anders ausgedrückt „Nur wenn man weiß, wo man herkommt, weiß man, wohin man geht.“ Und Traditions- und Kulturpflege drückt sich in den Dörfern vielfältig aus. Dabei spielen die Heimatvereine eine hervorragende Rolle. Beeindruckend zum Beispiel die Arbeit des Heimatvereins in Podelzig beim Aufbau eines Erinnerungs- und Gedenkortes „Schloss Klessin“, dessen Besuch alle Jurymitglieder sehr nachdenklich stimmte.

Selbstverständlich darf dabei der Spreewald mit dem von uns besuchten Ort Byhleguhre nicht fehlen, eine Region, die mir manchmal vorkommt, wie aus einem Märchen entstiegen. Dort wächst man oft zweisprachig auf und hat manch fast Vergessenes wiederentdeckt. Im Gespräch erzählte man mir, dass die berühmten Heubojen nur durch “Stapelhilfe” aus dem Nachbardorf erhalten wurden, da es dort noch ältere Spreewälder gab, die wussten, wie man diese kunstvollen Gebilde herstellte und bereit waren, es an die Jüngeren weiterzugeben. Außergewöhnliches gab es in Behringen in der Prignitz, wo man die Traditionen des Ausmaien und Osterwasserholens begeht. Das war mir neu, wurde uns aber so authentisch näher gebracht, dass man gesehen hat, was für ein Riesenspaß das sein muss. Oder auch das kleine, aber sehr feine Museum der Alltagskultur in Ruhlsdorf, in dem Besucher*innen nicht nur ansehen, sondern ausprobieren und anfassen dürfen.

Kurzum: Traditionen schaffen gemeinsame Vergangenheit und Gegenwart, sind gemeinschaftsbildend und in Brandenburg unglaublich vielfältig. In diesem Zusammenhang spielt die Kirche auch eine wesentliche Rolle. Keine Frontalität, sondern Stärkung dieses Zusammengehörigkeitsgefühls ist auch hier das Erfolgsrezept.

Regionale Lebensmittel auf einem Tisch dekoriert
Traditionelle Heuernte

5. Sich regen bringt Segen oder auch: jeder tut, was er kann.

Bücher über “Selbstwirksamkeit” füllen ganze Bibliotheken. Ich vermute mal, dass kaum eines dieser Werke von den Menschen gelesen worden, die ich auf der Reise getroffen habe. Dennoch erlebte ich dafür viele Beispiele, die, ganz subjektiv, in den letzten Jahren auch zugenommen haben. Kein Warten auf den Staat (wer immer das auch ist), auf Fördermittel oder Hilfe von außen. Sondern: das Leben und die Gemeinschaft selbst in die Hand nehmen. Einer der vielen fleißigen Jurybeglücker rechnete mir vor: “Wenn jeder im Dorf nur 1-2 Stunden in der Woche in die Gemeinschaft investiert, kommt eine ungeheure Summe zusammen.” Und dadurch wird vieles möglich: der Sportverein, der Jugendklub, die Bücherei, die Blumen auf dem Dorfanger, Feste u.v.m. Es wimmelt von Aktivitäten. Wer was kann, bringt es dem anderen gerne bei. Und in der Gruppe entsteht dann z.B. auch so etwas wie ein Wanderweg in Fredersdorf, der ursprünglich Feld war, aber dann haben sich welche gesagt: wie schön wäre es doch, einen Wanderweg im Ort zu haben, auf dem man gemütlich abends eine Runde ums Dorf laufen kann.

6. Adrett ist nett: Baukultur & Landschaft

Ich gebe gerne zu: auch als Jurymitglied hat man so seine #Lieblingslandschaften in Brandenburg. Jemand sagte neulich mal dazu: Big-Sky-Country. Und das ist Brandenburg wirklich. Wenn sich am Rande des Dorfes der Himmel über einer leicht welligen Landschaft spannt, auf der locker gruppiert Alleen, Baumgruppen, kleine Wäldchen, Wiesen und Felder abwechseln, dann kommt ein Brandenburg-Gefühl auf. Da kann ich mich gar nicht satt sehen. Nicht jeder Ort in Brandenburg ist mit einer solchen Lagegunst ausgestattet, aber wichtig ist, was daraus gemacht wird. Stichwort: Gestaltungssatzung. In dem einen oder anderen Dorf zu finden, wenngleich ich leider feststellen musste, dass viel Historisches verputzt, abgetragen oder umgewidmet wurde. Dennoch: großartige Beispiele in fast allen Orten. Behutsam. Mit Sachverstand. Und wo ortsbildprägende Bauten erhalten sind, Obstbäume und Blumen die Straßen säumen, der Dorfanger die gute Stube der Gemeinde ist und vielleicht sogar ein kleiner Park mit einer Liebesbrücke  oder ein Rodelberg angelegt wurde, da ist man gerne zu Hause oder kommt auch gerne wieder.

7. Regenerative Demografie

Eine aktuelle Studie vom Berlin Institut hat gezeigt, was wir schon lange wussten: Brandenburg ist Zuzugsland. Das war nicht immer so und freilich werden sich die Auswirkungen des demografischen Wandels noch richtig zeigen. Aber: Bauland ist mittlerweile fast überall knapp. Rückkehrer*innen, Großstadtflüchtende und Landlustige mischen sich in Zukunftsdörfer mit den Bürger*innen, die schon lange da sind. Natürlich gibt es hier Wachstumsschmerzen und manche Diskussion, aber oft helfen gerade Leitbildentwicklungen, Vereinsarbeit und Feste dabei, eine gemeinsame Vorstellung vom Dorfleben zu entwickeln. Auf Augenhöhe. Miteinander. Und es werden auch wieder Kinder geboren und wachsen in den Dörfern auf. Eine Erneuerung von unten geschieht, die erfreulich ist.

8. Eine große Schwester oder einen großen Bruder

Auffällig war für mich bei dieser Reise. Viele der besuchten Gemeinden waren entweder Ortsteile einer Stadt (wenngleich das bei der hiesigen Siedlungsstruktur auch eine erhebliche Entfernung bedeuten kann) oder lagen zumindest in der Nähe einer Stadt.

Aber hier steht ja garnichts über schnelles Internet, guten öffentlichen Nahverkehr und Infrastrukturen. Nichts über kommunale Haushalte. Das alles und noch viel mehr braucht es natürlich auch. Das sind die harten Fakten und Grundlagen. Ohne die wird es mit den eben beschriebenen Erfolgsfaktoren auch nichts. Aber trotzdem sind sie “nur” notwendig, aber nicht hinreichend. Es braucht vor allem eine starke Gemeinschaft mit “Typen”, die anpacken und das Glück des Ortes selbst in die Hand nehmen. Und von diesen gab es in allen bereisten Dörfern viele. Das zeigt mir, dass das Land lebt und es verwundert mich nicht, dass es Menschen aus Städten dorthin zieht.

Und so freue ich mich schon heute auf die nächste Reise in drei Jahren.

Am 26.8.2022 wurden die Gewinner*innen des diesjährigen Wettbewerbs in Dissen ausgezeichnet. Aber eigentlich, um wiederum einen Bewohner zu zitieren, “haben wir alle schon gewonnen. Denn wir sind zusammen gekommen und haben gemeinsam etwas erreicht. Dann ist es auch egal, wer gewinnt.” Das ist echter Brandenburger Dorfgeist.

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