Erfa mit Fahrtziel Natur-Gebieten: 5 Erkenntnisse zu Gästekarten
Wenn so viel geballte Kompetenz zu nachhaltiger Mobilität in Naturschutzräumen im Lande ist, mussten wir das auch nutzen und haben zusammen mit der Deutschen Bahn zu einer Austauschrunde rund um die Gästekarte mit Mobilitätsangeboten eingeladen.
Am 01. September 2022 feierte Fahrtziel Natur sein 20-jähriges Jubiläum in Potsdam. Wenn so viel geballte Kompetenz zu nachhaltiger Mobilität in Naturschutzräumen im Lande ist, mussten wir das auch nutzen und haben zusammen mit der Deutschen Bahn zu einer Austauschrunde rund um die Gästekarte mit Mobilitätsangeboten eingeladen.
Fahrtziel Natur ist die Kooperation der großen Umwelt- und Verkehrsverbände BUND, NABU, VCD und der Deutschen Bahn zur Förderung von umweltfreundlicher Mobilität und nachhaltigem Tourismus. Die Geschichte der Kooperation beginnt am 25. April 2001 mit sechs Gebieten, darunter auch der Brandenburgische Naturpark Uckermärkische Seen. Mittlerweile sind es 24 Nationalparks, Naturparks und Biosphärenreservate in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Seit 2006 ist auch das länderübergreifende Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe dabei.
Am 1. September haben die Partner der Kooperation im Kaiserbahnhof Potsdam den 20. Geburtstag der Kooperation coronabedingt nachgefeiert. Am Festakt haben rund 120 Weggefährten aus Politik und Tourismus teilgenommen.
Nachhaltiger Tourismus ist ohne ÖPNV nicht machbar
Insgesamt 16 Fahrtziel Natur-Gebiete haben bislang eine kostenlose Mobilität über Gästekarten eingeführt. Diese Aufgabe, CO2-Emissionen durch nachhaltige Mobilität zu reduzieren, nimmt die Kooperation sehr ernst. Alle Regionen, die ihren Gästen noch keine Mobilität über Gästekarten anbieten, müssen sich ranhalten. Andernfalls ende 2025 eine Mitgliedschaft in der Kooperation, so Dr. Kathrin Bürglen, Projektleiterin Fahrtziel Natur, im TN-Artikel zum Fahrtziel Natur Jubiläum.
Erfahrungsaustausch zu Gästekarten inkl. Mobilität
Grund genug, um das Thema Gästekarten weiter zu vertiefen. Und so haben wir im Anschluss an die Jubiläumsfeier zusammen mit der Deutschen Bahn zu einem Erfahrungsaustausch eingeladen. Umlagefinanzierte Kartenmodelle stehen im Moment wieder hoch im Kurs, bieten sie doch durch das Solidarprinzip eine attraktive Finanzierungsmöglichkeit der öffentlichen Verkehre sowie weiterer touristischer Dienstleistungen und Infrastrukturen.
Doch so einfach ist es nicht. Es lauern allerhand Hürden und Fettnäpfchen bei gesetzlichen Regelungen und dem Ringen um Konsens zwischen den beteiligten Akteuren. Hier wollten wir Wissen und Erfahrungen zusammenstellen und weitergeben.
Durch die Veranstaltung moderierte Christopher Krull von Kohl & Partner, eine Koryphäe in der Beratung von Gästekarten mit ÖPNV – und auf immer verbunden mit der KONUS Card im Schwarzwald, war er doch bei deren Einführung maßgeblich mit beteiligt.
Zum Auftakt gab Dr. Andreas Zimmer einen kurzen Einblick in unser landesweites Projekt der BrandenburgCard. „In den letzten 2 Jahren hat uns bei den interessierten Partnern die hohe Motivation und Lust überzeugt, ihre Destination für Gäste, aber auch für die Einheimischen mit Service- und Mobilitätsangeboten voranzubringen,“ betonte der Leiter des Clustermanagement Tourismus in der TMB. Nach Fertigstellung einer Machbarkeitsstudie im vergangenen Jahr gehen wir in Brandenburg in die schrittweise Umsetzung.
Christopher Krull holte in seinem Vortrag über den Weg zu erfolgreichen Gästekarten (als Download auf dieser Seite) alle einmal ab: „Die Cardwelt ist in Deutschland in letzter Zeit in Bewegung geraten, nicht zuletzt durch Corona. Ob heute eine Karte erfolgreich sein kann, hängt sehr von ihrem Modell, den Inhalten und natürlich von ihrem Preis- Leistungsverhältnis ab.“ Klar, gesellschaftliche Trends und Trends im Tourismus zu berücksichtigen, ist genauso wichtig, wie diejenigen nicht aus dem Blick zu verlieren, für die das Angebot sein soll – und das sind je nach Zuschnitt der Karte Übernachtungs- und Tagesgäste, aber auch die Bevölkerung vor Ort und Mitarbeitende von Tourismusbetrieben.
5 Runden, 5 Erkenntnisse zu Gästekarten in Naturschutzräumen
Im World-Café-Format haben wir dann alle zusammen fünf Runden mit fünf Fragestellungen und Schwerpunkten in fünf unterschiedlichen Farben bearbeitet.
1. Gästekarten zieht die Bevölkerung vor Ort mit in den ÖPNV nach
In der grünen Werkstatt ging Dirk Wetzel (TMB) einer oft genannten Frage im Zusammenhang mit Gästekarten nach: „Was hat denn die Bevölkerung Ort davon?“ Eine ganze Menge, wie die Erfahrungen der Beteiligten zeigten: von Finanzierungsmitteln, die ohne die Karten nicht ins Verkehrssystem fließen würden, bis hin zu zusätzlich eingerichteten Freizeitlinien, die Einwohner*innen zugutekommen. Die Teilnehmer*innen wussten von dutzenden Beispielen zu berichten, von denen hier zwei stellvertretend genannt seien. So gibt es in der Alpsee-Grünten-Region ein Bürgerticket für eine äußerst attraktive Ringlinie oder Gratistickets für Fähren der Weißen Flotte auf Rügen. Klar ist, dass durch Touristen Infrastrukturen und Angebote mitfinanziert werden, die die Lebensqualität vor Ort bereichern. Ein angenehmer Nebeneffekt stellt sich ebenso oft ein: Einwohnerinnen und Einwohner mit ihrem gelernten Mobilitätsverhalten steigen vermehrt um in den ÖPNV, weil ihnen ihre Gäste vormachen, dass es gut funktionieren kann.
2. Wer eine Gästekarte einführen möchte, braucht viel Geduld, Spucke und die richtigen Partner an der Seite
Wie eine Einführung einer Gästekarte in Kommunen gut gelingen kann, wurde in der gelben Werkstatt mit mir zusammen getragen. Im Vordergrund standen die Bedenken der Übernachtungsanbietenden – bezüglich des Aufwands, der nun einmal beim Melden und Ausgeben von Gästekarten anfällt. Aber auch die Bereitschaft von Gästen, Kur- und Gästebeiträge zu zahlen, wird immer wieder skeptisch gesehen. Wohltuend für die Ohren aller Teilnehmende war, dass von den Anwesenden etablierter Gästekarten durchweg zu verstehen gegeben wurde, dass das nach Einführung kaum noch eine Rolle spielt – weder aus Gast- noch aus Vermietersicht. Der Weg ist also das Ziel. Es heißt dran- und in Kontakt bleiben, Fürsprecher vor Ort finden und eine Koalition der Willigen bilden.
Immer wieder drang bei den Teilnehmenden auch durch, dass vom Landkreis über Verkehrsbetrieb bis hin zur Kommunalpolitik die Haltung wichtig ist: Haltung zu Themen wie umweltfreundliche Mobilität und Service für Gäste und Einheimische, aber auch Haltung zu neuen, innovativen Ideen und deren Einführung und Umsetzung.
3. Partnergewinnung braucht Zeit, Fürsprecher auch auf politischer Ebene, Vertrauen und ganz viel miteinander reden
Anja Noffz (TMB) stellte in der roten Werkstatt die Frage, die am Anfang einer jeden Gästekartenentwicklung steht: Welche Leistungsbestandteile braucht es, damit eine Gästekarte attraktiv ist und wie überzeuge ich die Partnerinnen und Partner mitzumachen?
Dass das Herzstück einer Gästekarte die kostenlose Nutzung des ÖPNV sein sollte, da sind sich alle Teilnehmenden einig. Ergänzende Mobilitätsangebote wie Bergbahnen, Radverleihsysteme, Fähren oder On-Demand Services werten ein Angebot auf. In vielen Regionen sind darüber hinaus weitere Leistungsträger wie Beherbergungsbetriebe, Freizeitanbieter, Veranstalter oder Hersteller regionaler Produkte mit dabei.
Wichtige Anreize für die Partnergewinnung sind neben Zusatzeinnahmen, Synergien in der Vermarktung sowie die Steigerung der Bekanntheit und der Gästezahlen. Insgesamt lautet das Fazit des Workshops: Partnergewinnung braucht Zeit, Fürsprecher auch auf politischer Ebene, Vertrauen und ganz viel miteinander reden.
4. Tagesgäste lassen sich strategisch und mit pfiffigen Ideen in die Finanzierung mit einbinden
In der blauen Werkstatt beschäftigte sich Dr. Andreas Zimmer (TMB) mit der Herausforderung, Tagesgäste in die Finanzierung von Tourismusorten einzubinden. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass die Diskussion darüber schon immer da war, aber Corona hat das Thema deutlich verstärkt wurde, da punktuell das Gästeaufkommen merklich gestiegen ist. Damit verbunden seien mancherorts mittlerweile Auseinandersetzungen zwischen Einheimischen und Gästen, zwischen Stadt und Land sowie zwischen verschiedenen Einkommensschichten. Dennoch: Tagesgäste sind als Wertschöpfungsfaktor in allen Destinationen nicht wegzudenken.
Wichtig bleibt deshalb eine strategische Herangehensweise und pfiffige Ideen. Ganzheitliche Parkraumkonzepte, attraktive Kaufkarten, smarte Besucherlenkungssysteme verbunden mit dem Faktor „Mensch“ (z.B. die Ranger in den Biosphärenreservaten), Nutzung von Gamification und Nudging sind Möglichkeiten, die darum in einer Destination angewendet werden sollten.
5. Umweltfreundliche Mobilität auf Gästekarten muss über den ÖPNV vor Ort hinausgedacht werden
Christopher Krull (Kohl & Partner) sammelte in der schwarzen Werkstatt Ideen und Lösungen, über die kostenfreie Nutzung von ÖPNV-Angeboten vor Ort hinaus klimafreundliche Angebote zu schaffen.
Ganz oben stand die Integration der ÖPNV-Anreise in Gästekarten, aber auch, Tagesgästen über Gästekarten den ÖPNV zugänglich zu machen sowie der stets diskutierte Lückenschluss der „Letzten Meile“. Es gibt bereits heute gute Beispiele::
- Die Gemeinde Werfenweng in Österreich hat das System SAMO eingeführt. Gegen Abgabe des Autoschlüssels erhält der Gast die Möglichkeit zur kostenfreien Nutzung eine E-Mobils. Zudem wird jeder Gast, der mit dem ÖPNV anreist, kostenfrei mit Kleinbussen vom Bahnhof abgeholt und in sein Hotel gefahren.
- In einigen Österreichischen Cards ist der digitale Pre-CheckIn möglich, über welchen der Gast die Gästekarte vor der Anreise erhält und diese schon als Anreiseticket nutzen kann.
- In Graubünden in der Schweiz erhält der Gast bei der Buchung von zwei Übernachtungen die Anreise mit der SBB gratis dazu.
- Auf Rügen erhält der Gast bei Anreise mit dem Zug ein Leihrad kostenfrei dazu.
Den gesamten Erfahrungsaustausch haben wir graphisch wunderbar von Dr. Franziska Schwarz (SciVisTo) dokumentieren lassen. Insgesamt hat diese Veranstaltung wieder einmal gezeigt, wie gut es tut, miteinander ins Gespräch zu kommen und voneinander zu lernen. Wir bedanken bei allen für die rege Teilnahme und nehmen für das weitere Arbeiten mit: Dranbleiben. Es lohnt sich. Für die Natur, für den Gast, für uns alle vor Ort.
Jubiläumsfeier im Kaiserbahnhof Potsdam

Jubiläumsfeier im Kaiserbahnhof Potsdam: in der Mitte Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Jan Schormann, stellv. Leiter des BSR Flusslandschaft Elbe-Brandenburg.
Andreas Zimmer, TMB
